Über den eigenen Grundriss des Empfindens wieder zurück zum Raum der Lust finden – in Langzeitbeziehungen oft gar nicht so einfach.
Wenn es um Sex geht, gibt es in den meisten Köpfen noch immer ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie eine sexuell erfüllende Beziehung auszusehen hat und was eine gute Partnerschaft ausmacht. Für viele gehört eine bestimmte Häufigkeit, Art und Weise oder auch ein dauerhaft starkes gegenseitiges Begehren einfach dazu. Entsprechen ein oder vielleicht sogar mehrere dieser Punkte nicht der „gefühlten“ gesellschaftlich und/oder vor allem medial geprägten Norm, entsteht schnell Unzufriedenheit und Druck.
Man macht sich Sorgen, ob die Beziehung durch die sexuelle Flaute vielleicht in Gefahr ist, ob mit einem selbst etwas „nicht stimmt“ und spürt eventuell einen Druck durch die Partnerperson, endlich wieder Sex zu haben (und zu wollen), der bei einem selbst alles andere als zu Vergnügen und mehr sexueller Lust und Begehren führt. Ein gefühlter Teufelskreislauf, in dem man sich befindet. In „Kommt zusammen!“ geht Emely Nagoski genau auf diese Themen ein und beschreibt, wie es zu diesen ganz normalen (!!) Phasen in Langzeitbeziehungen kommt, wie man ihnen begegnen kann und wie Lösungen aussehen können, die für alle Beteiligten „befriedigend“ und erfüllend sind.
Gaspedal, Bremse und sexuelle Grundrisse
Bevor es mit dem eigentlichen Text losgeht, folgt zunächst eine kurze Einleitung, in der die Autorin von ihrer eigenen Zeit mit sexueller Flaute in der Beziehung und ihrem Weg hinaus erzählt und Tipps für den richtigen Umgang mit dem Buch gibt. Der Hinweis, dass es dabei phasenweise ziemlich wissenschaftlich zugehen kann, da sie Wissenschaft liebt, ist dabei schon einmal ziemlich wegweisend und gibt einen kleinen Ausblick, wie es im ersten Teil weitergeht.
Im ersten Kapitel geht es zunächst um ein allgemeines Verständnis, worum es bei Sex in Beziehungen eigentlich geht. Denn anders als von vielen erwartet, geht es dabei nicht einfach um einen Orgasmus, stattdessen stehen die „Big Four“ im Vordergrund, wie Emely Nagoski sie nennt: Verbindung, gemeinsames Vergnügen, begehrt werden und Freiheit. Um diese „Big Four“ zu erreichen, gibt es eine Anzahl von „Gaspedalen“ und „Bremsen“, die dem Zustandekommen von Sex im Wege stehen oder dieses stattdessen fördern. Da „Vergnügen“ an etwas haben eine bedeutende Rolle spielt, wenn es darum geht, etwas zu wiederholen, widmet sich das nächste Kapitel ganz diesem Thema. Denn zu oft wird „Begehren“ in den Mittelpunkt gerückt, bleibt jedoch das Vergnügen aus, schwindet auch das Begehren.
Um den Weg zum Vergnügen zu finden, geht die Autorin in den nächsten Kapiteln recht analytisch vor. Zunächst geht es daran, einen Grundriss des eigenen Empfindens zu erstellen. Bei jedem grenzen andere Räume an den Raum der Lust, der Weg hierhin ist somit unterschiedlich. Hier geht es darum zu entdecken, wie sehen vergnügungsfreundliche beziehungsweise -feindliche Bereiche aus, die entweder Lust aktivieren oder eben verhindern. Zum Abschluss des ersten Teils folgen noch die Kapitel 5 und 6, in denen es um eine positive Einstellung zum Thema Sex geht, die eng verbunden mit Geben und Nehmen ist sowie das, was wir bekommen, wenn wir eine enge Beziehung führen und welche Rolle Vertrauen und Bewunderung dabei spielen.
Im zweiten Teil „Und gutes wird kommen“ geht es nun um die Umsetzung der im ersten Teil beschriebenen Methoden bei häufigen Problemen in Langzeitbeziehungen. Zunächst geht es darum, wie wir unserem eigenen Körper begegnen und wie wir mit unseren Prägungen und eventuellen Traumata umgehen. Das 8. Kapitel widmet sich dem Thema „Veränderung“ und wie diese aussehen soll und welche Voraussetzungen dafür geschaffen sein müssen. Weiter geht es mit den sogenannten „Sex-Imperativen“ und der „Gender-Fata-Morgana“. Hierbei handelt es sich um gesellschaftlich geprägte Vorstellungen von Sexualität und unserer eigenen Gender-Rolle, die uns in unserem Empfinden und unseren Erwartungen prägen und oft nur wenig damit gemeinsam haben, was wir wirklich wollen, was uns persönlich gefällt und was wir uns wünschen.
Zum Abschluss folgen noch die Kapitel „Hetero-artige Beziehungen“ und „Zaubertricks“, in denen Emely Nagoski zunächst noch einmal auf viele Vorurteile und daraus resultierende Verhaltensweisen eingeht, die durch die „Gender-Fata-Morgana“ entstehen und uns in unserer Sexualität beeinflussen, bevor sie anschließend noch ein paar Hinweise und Tipps gibt, wie man selbst mehr Vergnügen in alle Bereiche des Lebens bekommt, die sich dann vielleicht auch auf die Partnersexualität übertragen lassen. Es folgt noch ein Fazit, in dem sie alle wesentlichen Infos und Erkenntnisse des Buches kurz und knapp zusammenfasst, bevor sie in zwei Anhängen zunächst häufige Fragen und Einwände zu ihrer Methodik beantwortet und in „Alles reine Biologie“ auf die typische Geschlechterzuschreibung aus biologischer Sicht eingeht.
Sex mal wissenschaftlich, mal alltagsnah und auf Augenhöhe
Dass es in sogenannten „Langzeitbeziehungen“ nicht mehr so oft zu Sex kommt, wie zu Beginn einer Beziehung, ist durchaus bekannt. Der Alltag mit Arbeit, Verpflichtungen und vielleicht irgendwann auch Kindern lässt nicht nur weniger Zeit, auch wirken Stress und Müdigkeit nicht gerade erotisierend und die Lust fehlt, sich nach einem langen Tag auch im Bett noch „anzustrengen“. Was durch die Medien oft als ein Problem dargestellt wird, ist laut Emely Nagoski ganz normal und noch lange kein Grund zur Sorge, denn keine stabile Beziehung zerbricht, nur weil es phasenweise mal zu weniger Sex kommt. Es sind Phasen, die normal sind und zu jeder Beziehung dazugehören. Das Problem entsteht erst, wenn es zu einem Ungleichgewicht in der Beziehung kommt, einer oder beide Partner „wirklich" unter der Situation leiden und nicht nur, weil man überall hört und liest, dass solche Phasen ein Zeichen für eine Beziehungskrise sind und wir uns um unsere Partnerschaft ernsthafte Sorgen machen müssen. Denn eins ist klar, im Laufe des Lebens wird sich unsere Sexualität allein schon durch das eigene Altern verändern. Wie wir damit umgehen, ist letztendlich die Frage.
In ihrem Buch geht die Autorin auf Ursachensuche, analysiert, wie Sex aussehen muss, damit er stattfindet und von beiden Partnern gewollt wird. Kommt es lange Zeit nicht zu intimen Momenten, ist die Annäherung und der Weg zurück oft erstmal gar nicht so einfach und es ist wichtig, sich mit sich und den eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzten, um zu erkennen, was man wirklich will und was bei einem Lust und Vergnügen auslöst. Emely Nagoski verwendet hierzu anschaulich das Modell eines Grundrisses mit verschiedenen Zimmern, die bei jedem unterschiedlich angeordnet sind und somit einen anderen Weg in den Raum der Lust erfordern.
Auch sonst ist ihr Buch sehr anschaulich geschrieben. Immer wieder greift sie auf fiktive Paare zurück, die ein Problem repräsentieren und beschreibt, wie mit den jeweiligen Problemen umgegangen wird und was zu einer erfolgreichen Lösung beiträgt. Die Paare sind dabei sowohl vom Alter als auch der sexuellen Orientierung her unterschiedlich gewählt, sodass sich jeder irgendwo wiederfinden wird. Auch eigene Erfahrungen mit dem Thema fließen in ihr Buch ein, sodass man das Gefühl hat, die Autorin weiß, wovon sie schreibt.
Damit man bei knapp 400 Seiten den Überblick behält, gibt es in jedem Kapitel am Schluss unter „kurz & knackig" eine kompakte Zusammenfassung des Kapitelinhalts, sodass man alles Wesentliche noch einmal nachlesen kann. Anschließend folgen unter „Gute Fragen“ noch ein paar Denkanstöße, mit deren Hilfe man sich noch einmal persönlich mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen und überlegen kann, wo man selbst gerade steht, welche Wünsche, Vorstellungen oder Einstellungen man hat.
Fazit
Insgesamt ein gelungenes Buch, das sich dem nicht immer ganz einfachen Thema „Sex in Langzeitbeziehungen“ widmet und einen interessanten Ansatz liefert, sich näher hiermit auseinanderzusetzen. Denn eins ist auf jeden Fall klar, sowohl gesellschaftliche als auch mediale Normative entsprechen nicht der Realität, sodass jeder seinen eigenen Weg finden „darf“, der dann das eigene „Normal“ ergibt.
Deine Meinung zu »Kommt zusammen!«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!