Wie alte Vorstellungen und Rollenmuster feministischem Sex im Wege stehen.
Feminismus und Sex – Zwei Bereiche, die unweigerlich miteinander verbunden sind. Doch wo fängt Feminismus an, wie wirkt er sich auf Sexualität und Beziehungen aus und was muss sich ändern, damit beim Sex echte Gleichberechtigung herrscht? Diesen und vielen weiteren Fragen geht Cleo Libro in ihrem Buch „Gleichstellung“ nach. Als Feministin kennt sie sich im Bereich Frauenrechte aus, weiß, worauf es ankommt und was sich ändern muss, damit auch für Frauen sexuelle Selbstbestimmung bei One-Night-Stands, in kürzeren oder auch längeren Beziehungen und in vielen Bereichen des Alltags Realität werden kann. In ihrem Buch berichtet sie von ihrem „Selbstversuch“, in dem sie ihre eigene Sexualität in verschiedenen Bereichen beleuchtet und mit feministischen Augen betrachtet. Ob es ihr gelingen wird, auch im Bett ihrer feministischen Überzeugung ohne Kompromisse treu zu bleiben?
Feministischer Sex im Realitäts-Check
Cleo Libro beginnt ihr Buch mit einem einführenden Vorwort, in dem sie zunächst kurz und knapp auf ihren eigenen sexuellen Werdegang eingeht, ihren Weg zum Feminismus beschreibt und anschließend ihre Motivation deutlich macht, ein Buch über die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit einer feministisch ausgelebten Sexualität zu schreiben, wobei vor allem die Bereiche Verantwortung, Akzeptanz, Bewusstsein und Unabhängigkeit im Fokus stehen.
Im ersten Kapitel „Flirt“ widmet sie sich näher dem Thema der Konsensfindung. Natürlich wird den meisten Menschen klar sein, dass vor sexuellen Annäherungen zunächst die Zustimmung des Partners eingeholt werden sollte, doch vielen wird nicht klar sein, wie oft es dennoch im Alltag zu Grenzüberschreitungen kommt, wie Cleo Libro sogar bei ihrem eigenen Verhalten feststellt. Sie zeigt auf, wie oft teils sogar unbewusst vergessen wird, das Einverständnis des Partners beim Flirt, beim Küssen oder während des Geschlechtsverkehrs einzuholen.
Im zweiten Abschnitt „Fantasien“ geht die Autorin der Frage nach, was es über uns aussagt, wenn wir zwar grundlegend davon überzeugt sind, dass Konsens wichtig ist und Grenzüberschreitungen ein absolutes No-Go darstellen, in unseren Fantasien aber dennoch das Gegenteil total antörnend finden. Wie lässt sich dieser Widerspruch einordnen, besteht gar ein Grund zur Sorge oder darf Fantasie auch von der Praxis abweichen und muss mit dieser eventuell überhaupt nicht kompatibel sein?
Weiter geht es mit dem Thema „Feuchtigkeit“. Was bedeutet es überhaupt, beim Sex „feucht“ zu sein? Heißt feucht gleich erregt und zeigt an, dass frau Sex haben möchte und es sofort losgehen kann und besteht eine „Bringschuld“, um sich nicht als Versagerin fühlen zu müssen? Im nächsten Kapitel geht es dann um „Fick-Skripte“, wie Cleo Libro verbreitete Vorstellungen nennt, wie Sex gewöhnlich abzulaufen hat. Dabei geht sie darauf ein, wie weit verbreitet die Vorstellung ist, dass Sex ohne „PiV“ (Abkürzung für Penis in Vagina) in vielen Köpfen noch immer nicht die Kriterien für „richtigen“ Sex erfüllt und oft als Vorspiel abgetan wird. Dass eingefahrene Denkmuster und Pfade oft gerade aus feministischer Sicht einer erfüllenden und freien Sexualität im Wege stehen, wird am Beispiel der sogenannten „orgasm gap“ mehr als deutlich, welche im folgenden Abschnitt „Vergnügen“ zur Sprache kommt. Außerdem geht sie auf die Themen Orgasmus, Masturbation oder auch der mehr als fragwürdige Satz „Komm für mich“ während des Geschlechtsverkehrs aus dem Munde eines Mannes ein, der auf verschiedenen Ebenen ein absolutes No-Go für jede Partnerin darstellen sollte.
Vielschichtig ist auch das Thema „Verbindlichkeit“, wie sich im zugehörigen Kapitel erfahren lässt, denn die Vorstellung von „Etwas Lockerem“ können dabei doch ziemlich auseinandergehen und bedeuten, Sex ohne jegliche Verantwortung fürs Gegenüber haben zu wollen, was sich vor allem im Bereich Verhütung zeigt. Zum Schluss geht die Autorin noch auf den Bereich „Verführung“ ein, wobei Themen wie Macht und Selbstbestimmung eine Rolle spielen, es aber auch um die Frage geht, warum man überhaupt verführerisch sein möchte beziehungsweise verführt werden will. In ihrem Fazit fasst Cleo Libro am Ende ihre Erkenntnisse rund um Sex und Feminismus noch einmal zusammen. Ob sich Feminismus und Sex in ihrem Selbstversuch wohl als gut kompatibel herausgestellt haben?
Selbstbestimmung und Freiheit vs. gesellschaftliche Prägung
Cleo Libro ist Feministin. Seit 2018 schreibt und spricht sie über sexuelle Selbstbestimmung und Feminismen, was sich beispielsweise im Liebestagebuch auf DLF Nova oder auch auf Spiegel Online hören beziehungsweise lesen lässt. Wie sehr Sexualität noch immer durch das Patriachat bestimmt ist und wie stark alte Glaubenssätze und eingefahrene Rollenmuster befreiten Sex (vor allem für weiblich gelesene Menschen) verhindern, wird ihr im Laufe ihres Versuchs immer mehr bewusst. Noch immer ist in vielen Köpfen verankert, dass Sex mit dem Orgasmus des Mannes endet und für Frauen die Devise gilt, „dass Sex ja auch ohne Orgasmus schön wäre“, während für die meisten Männer das Ergebnis „Schade für dich, aber du kannst ja auch Freude empfinden, wenn du einfach nur deinen*e Partner*in zum Höhepunkt kommen siehst“ alles andere als akzeptabel sein wird.
Gemessen am Durchschnitt lässt sich Cleo Libro wahrscheinlich als ziemlich fortschrittlich im Bereich Sex und Gleichstellung beschreiben, wozu auch einige Privilegien beitragen, denen sie sich als weiße cis-Frau durchaus bewusst ist. Sie weiß, dass sie viel weniger gegen gesellschaftliche Grenzen und Vorurteile ankämpfen muss, als mit anderer Hautfarbe oder nicht eindeutiger Geschlechtszuordnung. Dennoch spürt auch sie in verschiedenen Bereichen den Druck von außen, wie beispielsweise bei rein optischen Themen wie Diätkult und Figur oder dem Druck, abgesehen vom Kopfhaar möglichst enthaart durchs Leben zu gehen. Auch sonst spürt sie eingefahrene Sichtweisen. Sucht sie unverbindlichen Sex, wird sie schnell in die Schublade „leicht zu haben“ gesteckt, was heißt, dass sie für einen One-Night-Stand zwar genügt, oft jedoch dabei wenig auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird und kein Interesse an ihr als Person aufkommt, sodass sowohl vor als auch nach dem Geschlechtsverkehr kaum ein persönliches Wort gewechselt wird. Ebenfalls berichtet sie von ihren Erfahrungen mit Frauen, die schon allein deshalb anders ablaufen, da deutlich weniger (mediale) Skripte für den Ablauf des Geschlechtsverkehrs vorhanden sind, eigene Ideen notwendig werden und nicht auf das alte Hetero-Muster „PiV“ zurückgegriffen werden kann.
Fazit
Insgesamt ein interessantes Buch, in dem deutlich wird, wie „unfrei“ Sex in vielen Fällen auch heute noch stattfindet und wie sehr alte Vorstellungen und Rollenmuster feministischem Sex im Wege stehen. Cleo Libro zeigt auf, mit welchen Hürden vor allem Frauen immer wieder konfrontiert werden und beschreibt, was sich verändern muss, damit sexuelle Gleichberechtigung für alle Realität werden kann.



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